Ein Fuchs in Sachen Schellenbaum

Januar 1994 – Mit Stolz und Würde erfüllte Lothar Fuchs (1936-2024) als bislang erster und einziger Villinger eine wichtige instrumentale Pflicht, und dabei war er gar nicht musikalisch: als Träger des Schellenbaumes bei der Historischen Stadt- und Bürgerwehrmusik Villingen war er bereits 1993 seit 15 Jahren im Amt.

Sein stets blitz-blankes Instrument war bei der Anschaffung damals 4000 Mark wert und wertvoller als die seiner Musiker-Kollegen. Und auch deshalb fiel er in der Marschordnung – zwischen Spielmannszug und großem Orchester – den Fotografen während vieler Gelegenheiten des Jahres besonders auf.

Für große Stadtkapellen und Blasorchester sind die Gelegenheiten recht zahlreich, wenn es darum geht, in voller personeller und musikalischer Stärke optisch und melodisch zu repräsentieren.

Auf einen Spielmannszug folgt dabei oft der Schellenbaumträger. Kraftvoll, stolz und souverän trägt er ihn wie eine Trophäe, was auch seine historische Symbolkraft ausmacht.

„Seiner Herkunft nach ist der Schellenbaum nicht als Instrument, sondern als Siegertrophäe aufzufassen“, so beschreibt ihn Freiherr Detlev von Liliencron (1844-1909) in seiner militärgeschichtlichen Betrachtung „Die Musik kommt“.

Als ehemaliger preußischer Offizier mit Erfahrungen aus den Feldzügen der Kriege von 1866 und 1870/71 lobt der spätere Kirchspiel-Vogt und freie Schriftsteller Liliencron die militärische Bedeutung des Schellenbaums in den deutschen Heeren des vor-vorigen Jahrhunderts.
Der Truppe wird bei besonderen Anlässen der Schellenbaum symbolhaft mit Musik vorausgeführt, schreibt Liliencron, Sohn einer verarmten Adelsfamilie in Kiel.
Vermutlich liegt der Ursprung des Schellenbaumes in China, abgeleitet von zahlreichen Schellen am „chinesischen Schellenhut“, den die Franzosen „chapeau chinois“ nennen.

Über Indien fand er den Weg nach Kleinasien und wurde dort aufgenommen bei den türkischen Musikgruppen der Janitscharen. Durch rhythmisches Schütteln wurde der Schellenbaum gemeinsam mit den Schlaginstrumenten Trommel, Becken und Triangel, dem Vorläufer der Lyra, taktbestimmend und charakteristisch für die Begleitung der melodie-führenden Blasinstrumente.

Im 18. Jahrhundert kam die Musik der Janitscharen, auch „türkische Musik“ genannt, mit den „Türkenkriegen“ in fast alle europäischen Heere. Eine solche Musikbegleitung wurde in Preußen erstmals 1740 in einem Artillerie-Regiment besetzt.

Seine Form und Gestalt hat der moderne Schellenbaum jedoch erst durch die türkische Militärmusik erhalten. Neben dem Halbmond sind es gefärbte Rossschweife, die seine türkische Abstammung betonen.
Bis heute ist der Stolz eines Schellenbaum-Trägers zu spüren, wird diese Funktion als „Amt“ doch oft über Jahre von ein und demselben Mit-Marschierer zelebriert.

So kam Lothar mit 42 Jahren zufällig in dieses ehrenvolle Amt, das er auf jeden Fall bis ins Jahr 2000 ausüben wollte.
Zu einer Zeit, als Tochter Maritta bei der Stadtmusik-Jugend Klarinette spielte, machte Papa den gelegentlichen Betreuer hinter den Kulissen: Wirtedienst, Fahrdienst, Mädchen für alles.

Der damalige Vorsitzende Gerhard Hirt initiierte über Spenden die Anschaffung eines Schellenbaumes, um endlich von der Leihe dieses augen-fälligen Instrumentes  frei zu sein, das man lange Zeit samt Träger bei den Hüfingern ausborgte.
Die passende Villinger Uniform wurde diesem auswärtigen Träger zu den Ereignissen wie Großer Zapfenstreich gestellt, der nach seinem Mit-Marsch jedoch meist schnell wieder von dannen zog.

Schon in den 1980ern war Ehefrau Edith stolz auf ihren Lothar, der 1993 ausführlich über seine bisherige Amts-Zeit berichtete. Stets schlüpfte Lothar Fuchs in  eine frisch gereinigte Uniformmit messerscharfen Bügelfalten.

Doch während die normalen Musiker, vielleicht mit Ausnahme des Tuba-Bläsers, auch einmal recht spontan sein konnten, hielt der Schellenbaum-Träger Fuchs eher bereits vorab eiserne Disziplin.

Denn das Tragen des Baumes war stets auch eine Art Alkohol-Bremse, sowohl vor wie nach dem Aufmarsch, und es galten seine Vorschriften im Umgang und vor allem in der Pflege des „chapeau chinois“, des chinesischen Schellenhutes, wie die Franzosen das  Gerät nennen.

Dieses nun war über Indien in die Türkei gelangt, wo es die Janitscharen in ihre Musikgruppen aufnahmen, die damit der militärischen Bedeutung ihres Befehlshabers huldigten.

Lothar Fuchs hatte von Alfred Faller für sechs Jahre die Inventarverwaltung bei der Stadtmusik Villingen übernommen. Eine selbstgebaute Transportkiste auf dem Fahrwerk eines ausgedienten Kinderwagens nahm für mehrere Jahre das neunteilige Instrument auf: große Glocke, großer und kleiner Halbmond mit 20 einzelnen Glöcklein, Sonne, vier blau-weiße Schweife aus Pferdehaar und den Adler, der das Villinger Wappen als Standarte im Schnabel hält.

Zwölf Kilo wiegt das bestückte Gestänge noch heute und reicht auf eine Höhe von drei Metern.
Wind und Wetter bestimmen die Anstrengung zusätzlich, wenn Fuchs mit den Gurten und dem Fahnenköcher richtig deichseln musste. Doch der Spaß war stets groß! Und dazu gehört auch die Pflege des Instruments, das eigentlich gar keines ist.
Nur mit Handschuhen dürfen diejenigen zur Politur antreten, die dem Lothar helfen wollten.
Mit nackter Hand ging da gar nichts.

Überaus beeindruck in all seinen Jahren war für Fuchs, und wohl für alle Stadtmusiker, der Besuch in Philadelphia/USA.
Eine Riesen-Nummer, nur noch zu überbieten, so Lothars einst geheimster Wunsch, vom Marsch durch den „Pariser Henny-Bogen, oder die Teilnahme an der Steubenparade in New York.
Musikalisch wurde Lothar in all den Jahren nicht, dafür kannte er aber alle Märsche und hätt diese auch mitpfeifen können; am liebsten den Badner-Marsch!

Und gleich nach Neujahr ging‘s für Lothar immer wieder los; ohne musikalische Probe marschierte er mit, wenn der Narro wieder auf den Brunnen gestellt wurde.

Der Lohn dafür war die beitragsfreie Mitgliedschaft bei den Historischen der Narrozunft, begleitet vom Stolz, ein Schellenbaum-Träger zu sein.

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