Wie aus „le bottine“ des Narros Zugstiefel wurden

Hat der echte, der wahre, der konservative Narro doch ein traditionelles Schuhproblem…?

Kurzstiefel trugen die englische Kavallerie in Indien und auch die Beatles

Gab es auch 2021 keine Fasnet, blieb stattdessen  – wie noch einmal jetzt in 2024 aufgelegt – ein wenig Brauchtums-Theorie.
Wer schon als Kind in der Zähringerstadt zuhause war und es auch heute ist, der kennt seit Jahrzehnten „Trottwa“, „Portmonee“ oder auch das Foulard, das der Narro als Accessoire trägt.
Und er weiß auch um die  Zugstiefel, die dieser als „Bodine“ tragen sollte.

Zu Gehweg, Geldbeutel und Seidentuch scheint nun in der ehemaligen französischen Besatzungszone im deutschen Südwesten alles klar.

Doch wie steht es mit den „Bodine“? Ein Versuch, einen anhaltenden Dissens zu des Narros Schuhwerk zu klären.

Es war am Scheme-Obed der Arbeitsgemeinschaft Villinger Fasnet im Januar 2009, als Karl Haas über das „Schuhwerk der Villinger Maschgere“ referierte, womit er viele seiner Zuhörer erstaunte.
Denn auf den von ihm präsentierten fotografischen Dokumenten, Fastnachtsbilder aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, musste auffallen, dass in jener frühen Zeit alle Narros hohe Schnürschuhe trugen. Dies belegte Narro Haas mit Fotos aus 1890 bis in die 1950er Jahre.

Les Bottines, masculin, für halbhohe Schürstiefel des 19. Jhdts.

Wie aber sahen damals die Schuhe derer aus, die als die Altvorderen zu ihrer Zeit das Narro-Häs trugen?
Eine Frage, die die leidenschaftlichen Brauchtumsschützer für die Kleiderordnung der Narrozunft Villingen mit eigentlich nur einem Schuhwerk für den Narro beantworten: den Bodinen.

Ein Begriff, den die heutigen Narros zwar alle kennen, dessen sprachliche Herkunft aber deutlich zurück reicht und am ehesten im Französischen zu suchen sein könnte. Was nun sind „Bodinen“?

Geforscht habe dazu Karl Hoch, der zu dem Ergebnis kam, „Bodiné“ komme wohl aus dem Französischen.

Wer auch online zum Wörterbuch  findet, der erfährt „le bottine“ und „la bottine“: der Halbstiefel geschnürt oder auch als die Stiefellette, geschnürt und auch  mit kleinem Absatz.

„Bodine“ als Zugstiefel oder doch „Bottines“ als Schnür-Stiefel? – Leider beim Narro Albert Fischer in den 1930ern, dem langjährigfen Zunftmeister,  nicht deutlich zu erkennen.

Ein Schuh, der vor den Mannsbildern in der zweiten Hälfte des 19. Jh. getragen wurde und  ebenso auch von einer Alt-Villingerin oder vom Murbele.

Und damit ergibt sich der schwelende Dissens zu  „Bodine“ und „Bottine“ für Ihn oder  für Sie.

Das nun betrifft die bislang fast offizielle Bezeichnung „Bodine“ als  die wahren angesagten Schuhe vom Narro.

Doch auch wenn mehr als 90 von 100 Narros die gewünschten Zugstiefel als „Bodine“ tragen, die in Villinger Schuh-Fachgeschäften angeboten werden, bleibt als historische Feststellung bei der „ArbGem Villinger Fasnet“: Früher wurden die einzig wahren Ur-„Bottines“ (Mz.) oder eben Schnürstiefel und  -stiefeletten getragen? Die Erklärung dazu klingt einfach.

Früher trug der Narro an Fastnacht seine Sonntagsschuhe, die nun mal seine Schnürschuhe waren und vor 100 und mehr Jahren gehörten sie zu des Schuhmachers Sortiment gehörten.

Sie konnten überall erworben werden, was heute jedoch kaum mehr möglich scheint.

Wenn nun dem Narro die Zugstiefel nicht „zu pass“  sind, wird folglich traditionsgemäß auf hohe Schnürschuhe wie einst ausweichen. Doch immer muss die Farbe stimmen: Schwarz wie eben auch bei den Zugstiefeln.

Nach Lesart auf der Homepage der  eher konservativen Narro in der „ArbGem Fasnet“ wäre nun nicht erst seit 2009 zu hoffen, dass der Tradition entsprechend, wieder die Ur-Bottines oder eben Schnürstiefel und -stiefeletten getragen werden und „nicht die gecken-haften Zugstiefel“.

Diese Kurz-oder Zugstiefel kreierte als Chelsea-Boots der Schuhmacher und Hoflieferant  der englischen Königin Victoria J. S. Hall,  die dieser erstmals um 1830 in London schuf.

Narro um 1930… er trägt hohe Schnürschuhe, also „le bottine“.

Ein Schuhschnitt, der über die englische Kavallerie bis nach Indien populär wurde und man historisch davon ausgeht, dass den dort stationierten britische Soldaten dieser Schuh zum Reiten taugte und leichter und luftiger war als hohe Stiefel. Als Jodhpur-Stiefel habe ein ähnliches Stiefelmodell gar der dortige Maharadscha  erfunden.

Modisch war der kurze Stiefel bereits in den 1950-er Jahren in den klassischen Herrenschuh-Kollektionen vieler Anbieter zu finden.

Als „Chelsea-Boot“ hat sich dieser Halbstiefel in den 1950er und 1960er Jahren sowohl modisch wie auch für den Reitsport etablierte. Mit den zwei seitlich elastischen Einsätzen und einer Zuglasche am Schaft über der Ferse wurde er für viele Künstlern aus den Londoner Stadtteilen Chelsea und Fulham ziemlich „trendy“.

Und schließlich erlangte das Modell in den 1960er Jahren als „Beatle-Boot“ große Popularität, wenn auch die „Fab Four“ ihre Variante mit höherem, leicht geschwungenem Absatz und mit enger Spitze trugen.

Wer bei Gelegenheit unterm Jahr das Wasserschloss in Glatt bei Sulz und dessen Museumbesucht, kann schließlich eine zusätzliche interessante Entdeckung machen. Als man dereinst das Schloss saniert und restauriert habe, fand man auch ein Paar Schuhe, die denen gleichen, die sich die Narrozunft für den Narro wünscht. Eben die begrifflich reduzierten ‚Bodine‘. Doch die Schuhe in Glatt werden als Stiefelette um 1870 betextet.

Da es regional und auch in Villingen üblich war und ist, in der kalten Jahreszeit auch die Winterschuhe zu tragen, bleiben leider und wohl weiterhin Zweifel zu „Bodine“, „Bodiné“, „Le Botinne“ für Ihn oder „La Bottine“ für Sie.

Da meint wohl auch der hiesige Franzose:

„A chaque imbécile son chapeau et ses chaussures“ – Jedem Narr sei Kapp‘ un sine Schueh!

 

 

3 Gedanken zu „Wie aus „le bottine“ des Narros Zugstiefel wurden“

  1. Pünktlich zum 6.Januar ein Beitrag zum Villinger Brauchtum,
    insbesondere zum Villinger Narro.
    Die Liste der „Franzözismen“ kann man fortsetzen:
    Masch kommt wahrscheinlich von meche (Strähne,Schleife ).
    Maschgere von Masquerade (Verkleidung ).
    Interessant, dass die Ausdrücke aus dem Französischen aus einer Zeit stammen,
    als die Franzosen noch als unsere Erbfeinde galten.
    P.S. In den 60er Jahren, als die Chelsea-Boots ( Zugstiefel )
    in Mode kamen, gab es noch einen weiteren Kult-Schuh : Clarks.

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    • Nun ja, CLARKS war wohl das Label für die evtl.
      feineren Burschen aus vermeintlich besserem Haus,
      die es am Romäusring wenigstens bis in die Obersekunda
      oder auch mal bis zur Unnterprimna schafften, um dann
      doch eine Lehre zu beginnen.

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  2. Großartige Recherche-Arbeit!
    Dass es sich ursprünglich um die geschnürten Sonntagsschuhe des Villinger Narro handelt,
    ist insbesondere den Jung-Narros nicht bekannt.

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