Das „neue“ Rathaus von 1926

Kredit über 171 000 Reichsmark reichte auch fürs „Balkönchen“ –  „Freiburger“ und „Falkensteiner“

Bis in die frühen 2oer-Jahre des 20. Jahrhunderts lag die Villinger Polizeiwache direkt am nordwestlichen Münsterplatz, was dem Wunsch nach einem neuen Pfarrhaus mit neuem Standort entgegenstand. Denn ein neues zu bauen, war schon lange vor 1926 der Plan, obwohl das katholische Pfarrhaus direkt gegenüber dem Hauptportal, der ehemalige Pfarrhof, eigentlich seinen Zweck erfüllte. Wenn da nicht doch auch der kommunale Bedarf gewesen wäre, das damals als „neu“ geltende Rathaus, zuvor auch Kanzlei genannt, zu einer Verwaltungseinheit eben mit dem Nachbargebäude des Pfarramtes zu vereinen. Weshalb eben die alte Polizeiwache dem neuen Pfarrhaus Platz machen musste.

Das bisherige „neue“ Rathaus an der Kanzleigasse, gleich neben dem benannten Pfarrhof  und nur wenige Meter vom „Alten Rathaus“ mit seiner Altertümersammlung entfernt, war als früh-klassizistischer Bau erstellt worden:

die Fenster mit flachen Bögen, mit glatten Pilastern, einer schmalen Kapitalkrönung und einem reich gegliederten Portal.

Kruzifix als Steinskulptur mit der Jahreszahl 1573 im Treppengiebel  auf der  Südseite

Ein städtisches Wappenschild prangte in Rokoko-Kartusche über dem Mittelfenster des ersten Geschosses. Es war das Geschlecht der „Freiburger“, die das Haus in diesem Stil hatten erbauen lassen, dass um 1780 ins Eigentum der Stadt geriet, um mehr Platz zu haben, weil eben   das „Alte Rathaus“ den Kanzleien zu wenig Platz bot.

Und auch das direkte Nachbargebäude war bis 1583 zunächst Privateigentum des Adelsgeschlechts der „Falkensteiner“, bis es im Stil eines spätgotischen Bürgerhauses 1583 erstmals als Pfarrhof erwähnt wird. Noch heute ziert ein Kruzifix als Steinskulptur mit der Jahreszahl 1573 den Treppengiebel  auf der  Südseite, das zu erkennen man dann aber doch die Nase recht hoch halten muss…

 

Alte Polizeiwache. Der Plan für ein neues Pfarrhaus an der Stelle der alten Polizeiwache wurde im Jahre 1914 wegen des Krieges zunächst für mehrere Jahre zurückgestellt, was auch den Umbau zum „neuen Rathaus“ aufhielt.

Als um 1924/25 der neue  Pfarrhof erstellt war, konnte die Stadtverwaltung im August 1926 dann aber auch den Wettbewerb ausschreiben, das neue Rathaus mit dem alten Pfarrhof zu vereinigen.

Dem Vorschlag, beiden Häusern ein gemeinsames Dach im Barock-Charakter zu verpassen, widersprach jedoch der Konservator für badische Baudenkmäler, Professor Hirsch aus Karlsruhe. Denn im Innern des Pfarrgebäudes traten  „alte spätgotische Gewände-Teile zweier drei-gekuppelter, mit einer Steinsäule verkuppelter Kreuzstöcke“ zutage.

Das Balkönchen: eine Arbeit von Schlosser Häberle und seinen Gesellen

 

Und es war sowieso auch „keine leichte Sache“, beim Bürgerausschuss die Mittel bewilligt zu bekommen, weil die Ansichten über einen zweckmäßigen Umbau weit auseinander lagen. Erst in einer dritten Sitzung wurde ein Kredit von 171 000 Reichsmark bewilligt.

Dagegen wurde die Idee, einen Verbindungsgang zum „Alten Rathaus“ zu schaffen, fallen gelassen.

Stattdessen einigte man sich auf einen kleinen Balkon am bisherigen „neuen Rathaus“, wofür der Schlosser Häberle mit seinen Gesellen die Arbeit schmiedeten.

Dass dieser später den Narros am „Fasnet-Sunndig“ dienen sollte, hat dann aber nichts mit dem Entree ins Haus zu tun.

 

 

Skulptur eines Pfeiffers im historistischen Gewand des 16. Jahrhunderts

Weiter geht es im Haus mit Bogentür-Gewänden, wo sich einst das Grundbuchamt und die Registratur befanden. Die bunt gefasste Skulptur eines Pfeiffers im historistischen Gewand des 16. Jahrhunderts schmückt das Stiegenhaus zu den einstigen Zimmern der Ratsdiener und zu dem des Oberbürgermeisters, das schon damals den „Zeitgeist des Empire atmet“ und wo das großformatige Bildnis von Maria Theresia bis heute an die Zugehörigkeit zu Österreich erinnert.

Licht und Luft. Zwei Stuckdecken im ersten Obergeschoss, eine im Barock-Stil und eine im zierlichen Rokoko, werden dem Villinger Meister Ignatius Bürkner zugeschrieben, der den Stuckateuren des Münsters angehörte.

An Attraktivität verloren hat ganz sicher die Hofseite mit einem bereits damals „alten Laubenganges“ zu einem kleinen Anbau, auch wenn eine trennende Mauer zwischen den zusammen gelegten Gebäuden geschleift wurde und dadurch

„Hof und Garten zu einem Ganzen vereinigt, was Licht , Luft und Grünfläche in den gesamten Komplex bringt“

Kranzschmuck um die Beleuchtungskörper in „Glockenformen“

Autor „H.“ (Josef Honold ?) zieht im Oktober im Anzeigenblatt „Villinger Bott“ 1928 sein Fazit, dass die Neueröffnung wohl im November desselben Jahres stattfinde, woran er den Wunsch knüpfe,

„dass die Ratsschlüsse, welche im neuen, großen Rathaus gefasst werden, die Wege zum weiteren Aufstieg der Stadt weisen mögen“.

Kranzschmuck um die Beleuchtungskörper in „Glockenformen“, wie der Autor „H.“ 1928 schreibt, die die Form und Größe der Rollen haben,  wie der Narro sie trägt. Dazu ein nobel gestalteter Sinnspruch an der bunten Kasetten-Decke: „Wo die Herren seynt, da klingen die Schellen“.

 

 

 

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