Das Alte Rathaus in Villingen

Adel und Patrizier feiern Party im Alten Rathaus

Postkarten und Kartenblätter, auch aus dem ehemaligen Wiebelt-Verlag der 20 er-Jahre, zeigen die bis 1928 gültige Fassade: eine typisch oberdeutsche Bemalung im historischen Kolorismus, wie ihn der Karlsruher Professor Karl Eydt 1895 hat auftragen lassen.

 Aus heutiger Sicht ist nur schwer vorstellbar, wie sich einst vor Jahrhunderten im ehrwürdigen Ratssaal am Münsterplatz jene geharnischten Männer einfanden, die für Krieg und Frieden in und um Villingen die historischen Darsteller  personifizierten.

Da erscheint 1444 der Landesherr Herzog Albrecht VI. von Österreich und trifft sich in diesem Saale mit Fürsten, Grafen, mit adligen Herren und Vertretern der Städte zu einer „erlauchten Versammlung des süddeutschen Adels“. Ein weiteres Dezenium vergeht, bis derselbe Herzog mit dem gelehrten Villinger Matthäus Hummel die Urkunde verfasst, die Universität Freiburg zu gründen.

Armbrustschützen. Lange Zeit war es Zeit Paul Revellio (1886 – 1966) vorbehalten, die Geschichte des Alten Rathauses zu beschreiben, das  zwischen 1293 und 1306 erbaut worden sein muss, das im 15. Jahrhunderts weiter ausgebaut wurde und für das 1499 erstmals als Ratsstube erwähnt wird. Eine Zeit, in der der beliebte Kaiser Maximilian auch seine Strategie zum verhängnisvollen Schweizerkrieg 1499 plante.

Schriftbeweis gibt es auch über jenes „ehrliche Nachtmahl auf dem Rathaus“ von 1522, das man für die Bruderschaft der Armbrustschützen ausrichtete, wenn dieses wohl auch nicht im Ratssaal stattfand.

Der heutige Volumen-Komplex des Alten Rathauses entstand aus einer Parzellen-Überbauung dreier Hausteile an der Rietstraße, was baulich vom 13. bis zum 16 Jahrhundert geschehen war. Um 1536 entstand wohl gen Osten zum Münsterplatz der prächtige Ratssaal mit seiner markanten Fensterfront, worauf um 1587 der Anbau des Treppenturms mit seinem eindrucksvollen Portal erfolgte.

 

Das Lüsterweibchen

Einen Namen hat es nicht, das Lüsterweibchen inmitten des Ratssaales. Dafür sprießt aus ihrem Körper ein kapitaler Sieben-Ender, schreibt Paul Revellio 1964. Und er benennt auch ihre Vita, die einst dazu bestimmt war, den Saal der Herrenstube zu beleuchten und mit Liebreiz die ehrsamen Müßiggänger zu berücken: ein köstliches Werk der lebensfrohe Renaissance aus der Wende des 16.Jahrhunerts, das niemand anderer geschaffen haben konnte als der Bildschnitzer Hans Amann. Als dann 1828 die Herrenstube aufgelöst wurde, wanderte das Lüsterweibchen n den Ratssaal, dem früheren Bezirksamt. Das nüchterne Zeitalter nahm ihm den duftigen Rosenzweig, zwang ihm Schwert und Waage in die Hände und machte es wider Willen zur gestrengen Justitia.

Hof-Statt. Mit dem Blick auf die Rietstraße von oben stellt man fest, dass die Parzellen der Häuser hinter den schmalen Fassaden vor allem tief sind. Damit lassen die Grundrisse die einst alte Hof-Statt bei ehemals gültiger Agrarstruktur erkennen, als sich Villingen weit nach der ersten Besiedelung zur mittelalterlichen Stadt entwickelte.

Historisch lässt sich ableiten, dass „die Wurzeln frühester städtischer Verwaltung und Repräsentation“ an der Rietstraße zu suchen sind und hier mit Schwerpunkt im Haus Nr. 20.

Denn dort entstand vom 13. bis zum 16. Jahrhundert durch Umbauten an drei rückwärtigen Gebäuden in der Flucht der Rathausgasse das jetzige Alte Rathaus. Es entstand ein „ge-ostetes Rathaus“, das sich mit einem Staffelgiebel und seiner gegliederten Fensterfront dem Münster und dem Münsterplatz darbietet.

Bunt, markant und motivisch reizvoll: das verbliebene Wappenschild am Alten Rathaus.

Lesegesellschaft. Zurück zum Hause Rietstraße 20. Um das Jahr 1830 hat sich die Herrenstuben-Gesellschaft als Sozietät oder Gesellschaft der Ehrsamen Müßiggänger (Patrizier) aufgelöst und benannte sich zunächst weiterhin als „Lesegesellschaft“ und wurde später zur „Museumsgesellschaft“, die 1942 an 500 Jahre „Gesellschaft der Müßiggänger“ ernnerte (siehe an anderer Stelle).

Damit trat nach Jahrhunderten eine wichtige, einflussreiche und  gesellschaftspolitische Institution trat kommunalpolitisch von der Bühne der Geschichte ab, deren Mitglieder aus einer Schicht sozial, wirtschaftlich und politisch herausgehobener Bürger bestand.

Ihre Trinkstube mit Stammtisch stand im Haus Rietstraße 20, von wo aus das Gremium wohl ab dem 14. Jahrhundert  rechts-historisch und sozial  auch zum „Rat der Vierundzwanziger“ zählte, der 1225 erstmals urkundlich genannt wird. Noch vor der später gültigen Zunftverfassung war dieser Status einem genossenschaftliches Organ, einer Eidgenossenschaft aus gehobenen Geschlechtern gleich, die als Vertreter des jeweiligen Stadtherren neben den Schultheißen traten und das Gemeinwesen mitbestimmten.

Hoch droben: zwei Drachen als Wasserspeier mit einer Narrenglocke am Schnabel. Auch sie wurden in den vergangenen Wochen saniert.

Zunftbürger. Um 1300 erstarkten jedoch die Bürger der bislang einfacheren Schichten und forderten Teilhabe  an der gesellschaftliche Ordnung. Es meldeten sich die Handwerker und Krämer in deren Zünften ohne eine vermeintlich höhere Abstammung und reklamierten ihren Anteil an der Verwaltung der Stadt.

So kam s zu einer veränderten städtischen Verfassung, die für Zunftbürger gleiche Rechte und Pflichten vorsah, worauf erstmals ein gewählter Bürgermeister auftrat, der von den 24-ern und den Zunftmeistern gewählt wurde.

Mit einem Zunftbrief aus 1324 erklärt sich auch eine veränderte Stadtpolitik, denn neben einem „stadtherrlichen Schultheißen“ und den patrizischen Vierundzwanzigern sitzen ein Bürgermeister und die Zünfte mit am Tisch. Aber wo?

Die Hirsch’sche Renovation hatte bewirkt, dass die Bemalung, die den Villingern ans Herz gewachsen war, ohne Not und gegen den Willen der Bevölkerung 1928 entfernt wurde.

Putten im Relief. Um das Jahr 1536 kommt es für das „alte Rathaus“ zu wesentlichen Änderung, denn in das erste Obergeschoß des östlichen Lagergebäudes wurde der Ratssaal eingebaut. Mit dem Giebel zum Münsterplatz hin entsteht eine stattliche Front mit einem spätgotisch repräsentativen Fensterband und zwei weiteren Doppelfenstern in den Stockwerken darüber. Der Ratssaal erhält die getäferte Holzdecke und Wände mit einer zwei Drittel-Täferung. Im Türsturz – zwischen Putten im Flachrelief – ist Jahreszahl 1537 markiert.

Der dadurch vornehme Ratssaal diente ab 1537 ganz sicher auch der städtischen Repräsentation, die um 1587 noch erhöht wurde, als an der Nord-Fassade der Treppenturm erbaut wurde, der seit jener Zeit mit seinem Renaissance-Portal den Haupteingang des Rathauses bildet.

Kefit oder Folterkammer. Neben der Funktion des Rathauses als Verwaltungssitz das Rathaus und der gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und gerichtlich-prozessualer Ereignisse ist und war eine verzimmerte Gefängniszelle im zweiten Obergeschoß für Schulkinder seit Jahrzehnten mystisch und abenteuerlich.

Dazu weiß man, dass es schon im 16. und 17. Jahrhundert in den Tor-Türmen und im Rathaus „keffite“ oder „gevengknusse“ (= Gefängnisse) als Arrestzellen gab. Diese galten aber nicht längeren Freiheitsstrafenden, sondern der kurzen Verwahrung. Im Jahre 1602 soll jedoch eine als Hexe angeklagte Frau nach Folter im Kefit  zu Tode gekommen sein. Und wohl deshalb bezeichnet die Museumsführung den Verschlag im zweiten Obergeschoß des Mittelbaus als ‚Folterkammer‘.

Sanierung. Ohne weitere Umbauten kam es ab 1876 im Alten Rathaus zur Villinger  Altertümersammlung, Und 1897 wurde die Fassade des Ostgiebels im historisierenden Stil der Zeit bemalt und den Stufengiebel krönte lange Zeit schmiede-eisernen Arbeit. Doch der ist inzwischen ‚futsch‘.

Eine neuzeitliche Sanierung und Modernisierung des „Alten Rathaus“ geschah schließlich zur 1000-Jahr-Feier des Marktrechts am Ort Villingen im Jahre 1999 und geschieht grad eben jetzt wieder zum 1200-er Jubiläum 2017.

 

 

 

 

 

 

 

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