Die Radmacherwette – Seit 400 Jahren Villingens historischer Wettkönig

Gyxlins Tochtermann und ein  geheimnisvolles Handwerkerzeichen im Oberen Tor

Vier Jahrhunderte liegen zwischen dem Ereignis des 4. Mai 1562 und dem des 25. August 1962. Zwei Radmacher machten jeweils zu ihrer Zeit Furore, was bis heute in Villingen zum historischen Wissen vieler Bürger gehört: die historische Radmacherwette um die Gunst einer Bürgertochter und um die Wiederholung in der Neuzeit.

Ein Wagnergeselle schafft 1562 das Unglaubliche. Er baut ein Wagenrad, rollt es nach Rottweil und zurück – an einem Tag. Helmut Glatz wiederholt 1962 die historische Wette, denn es gab Zweifel.

Jährlich im Mai kehrt der Radmacher in der Rietstraße immer wieder aus dem Winterschlaf an seinen angestammten Platz zurück.

Kraftvoll schmückt er die Brunnenstele, hält stolz sein Wagenrad, zu dessen Fertigung es 1562 eine herausragende Wette gegeben haben soll.

Ein lokales Historium, das Chronist Heinrich Hug festhielt. 400 Jahre später, und vor jetzt genau 60 Jahren, am 25. August 1962, wurde die Wette vom Wagner Helmut Glatz aus Unterkirnach erfolgreich wiederholt.

Am 4. Mai des Jahres 1562 soll ein Wagnergeselle, der als des Bixlins oder auch des Gyxlins Tochtermann benannt wird, also der Schwiegersohn eines hiesigen Bürgers mit Namen Gyxlin war, eine Wette abgeschlossen haben.


„An einem Tag möge er ein Wagenrad anfertigen,
es mit der Hand nach Rottweil treiben,
dort den Wert des Rades im Gasthaus verzehren
und mit dem Rad während desselben Tages
noch nach Villingen zurückkehren.“

Der Kannengießer Martin Billing setzte eine Krone, seinem Stammtischbruder Mathias Schettlein war es einen Thaler wert, dass die Wette laufen solle.

Wie die Hug’sche Chronik berichtet, gewann der Radmacher die Wette.

Doch bis in die Neuzeit gab es immer wieder Zweifler, die nicht glauben konnten oder wollten, dass es diese Wette überhaupt gab oder dass es bei dieser Wette mit rechten Dingen zugegangen sei.

Helmut Glatz, Ehrenbürger in Unterkirnach und auch Ehrendirigent des Musikvereins; gemalt von der Künstlerin und Kunsterzieherin Regina Hieckisch.

Einer räumte in den frühen 60er Jahren die Zweifel aus, der Standeskollege des historischen „Bixlins Tochtermann“: Helmut Glatz aus Unterkirnach, von 1953 bis 1967 in städtischen Diensten im Werkhof tätig.
Glatz bestand auf einer „modernen“ Wiederholung, um sein Berufsvorbild endgültig zu rehabilitieren.

So kam es am 25. August 1962 zum neuerlichen Handerks-Spektakel.

Dazu äußerte sich Helmut  Glatz später im Almanach 1982:

„Damit die Bevölkerung das Geschehen bei Tage beobachten konnte, hatte man den Beginn auf den 24. August 1962 angesetzt […] innerhalb von 24 Stunden mussten alle Bedingungen erfüllt sein, die bereits vor mehr als 400 Jahren gegolten hatten. Pünktlich um 18 Uhr griff ich bei großem Aufgebot von Bildreportern, Kameraleuten, Journalisten und Zuschauern zum Werkzeug. Nach dem Abdrehen der Radnabe begann das mühevolle Ausbohren der Speichenlöcher. […] Mit der Handsäge wurden die Zapfen in die Speichen gesägt und mit dem Ziehmesser zurechtgeschnitten.[…]. Für das Rad hatte alles gut gepasst, weshalb ich bereits um 5 Uhr … fertig war. Musiker der Stadtharmonie Villingen spielten, was mir den richtigen Schwung gab. Um 7.30 Uhr verließ ich die Werkstatt. […] Das Rad rollte ich wechselseitig mit bloßen Händen neben mir her; ein Handschuh blieb in der Hosentasche. Mein Arbeitskollege Josef Riehle war auf der ganzen Strecke treuer Begleiter.“

Der Weg führte zunächst über Nordstetten nach Kappel und Niedereschach. Glatz rollte das Rad munter und gut gelaunt über Horgen und Hausen nach Rottweil. Am dortigen Stadtrand wurde er von seinen Musikerkollegen aus Unterkirnach schon erwartet. Die Bürgermiliz aus Villingen sowie die Rottweiler Stadtknechte marschierten mit.

Beim Mittagessen im „Paradies“ verzehrte Glatz dann den Wert des Rades, dessen Wert vor 400 Jahren – ohne heutige Lohn- und Maschinenkosten – umgerechnet mit 40 Mark angenommen wurde. Das reichte für Bodensee-Forelle mit Beilagen und für eine Flasche Sekt. Nach zwei Stunden einer „anstrengenden Mahlzeit“ war der Rückweg von Zuschauern dicht gesäumt. Beim Anstieg von Kappel zum „Stumpen“ mobilisierte Glatz noch einmal seine Kräfte, so dass er Villingen bereits um „halbe Sechse“ wieder erreichte.

Was Glatz dort erleben durfte. war gewaltig. Die Kavallerie kam geritten, die Bürgerwehr war aufmarschiert, die Villinger Stadtmusik und die Musikkapelle Unterkirnach spielten auf. Der ehemalige Stadtgarten an der Mönchweiler Straße war übervoll mit begeisterten Zuschauern (Foto Wolfgang Bräun, damals 13).

Für seine Verdienste als Gemeinderat (1965 bis 1994) und als Dirigent (1981 bis 1997) in Unterkirnach wurde Glatz zum dortigen Ehrenbürger. Er starb 2006 im Alter von 74 Jahren.

 

 

 

 

Historische Quellen

In der Hugschen Chronik ist die Radmacher-Wette tatsächlich vermerkt. Jedoch nicht von ihm selbst, denn er starb 1533, sondern von Valentin Ringlin, der die Chronik fortführte.
Der Name des Radmachers wird allerdings nur als „des Götzlins Dochtermann“ bezeichnet und in einer Abschrift des Überlingers F. J. Mone mit „Gyrleins Tochtermann“, also dem Schwiegersohn des Götzlin oder eben des Gyrlein.


Zu Ehren von Helmut Glatz, so die Überlieferung, wurde nach 1962 eine metergroßes Wagenrad in die Durchfahrt des Oberen Tor gemeißelt, zu dessen Herkunft und Schöpfer nicht Genaues mehr gewusst wird. Es sei denn, ein Stadtführer hätte noch eine informative Quelle aufgetan.

 

Im Oberen Tor in  Stein gemeißelt: die Erinnerung an die Wett-Wiederholung von 1962.

 

 

 

 

4 Gedanken zu „Die Radmacherwette – Seit 400 Jahren Villingens historischer Wettkönig“

  1. Es ist mir völlig neu, dass das in den Stein gemeißelte Rad im Oberen Tor
    etwas mit der Wiederholung durch Helmut Glatz zu tun haben soll.
    Meines Wissens ist das Radrelief deutlich älter!

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  2. Es mir völlig neu, dass das in den Stein gemeißelte Rad im Oberen Tor etwas mit der Wiederholung durch Helmut Glatz zu tun haben soll.
    Meines Wissens ist das Radrelief deutlich älter

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    • …das nun ist die Frage, die sich selbst langjährige Stadtführer stellen.
      Denn eine „historische“ Abbildung des Rades, auch als Foto der Neuzeit, ist aktuell betrachtet nirgends zu finden!!!

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