Kindheit in den 50ern – Kigelespiel mit „hänke un dipfen“:

Erinnerungen an ein fast vergessenes Spiel mit Bolzern und Kigele

Es gibt ihn, den Grund zur freudigen Überraschung, auch wenn dies nur von Zeit zu Zeit geschieht. Öffnet man doch schon mal alte Koffer, Kisten und Kästen, die auf Speichern, im Stauraum unter der Treppe oder im Dachraum über der Garage stehen und deren Inhalt mehr bietet als Holzwolle, alte Schulhefte oder wertlosen Plunder aus früheren Haushalten.

Da kann  schon mal ein Porzellan-Püppchen auftauchen oder zwei Jugendstil-Trinkgefäße oder die handliche Figur eines Frauenkörpers aus Messing, mit der man einst die  Zigarrenglut im Aschenbecher zerbröselte. Alles Jahrgang 1920 oder älter.
Welche Freude aber erst, wenn jene Sammlung sich zeigt, die an die eigene Kindheit und Jugend in den 50ern und 60ern erinnert: bunte Objekte jenes Kinder-und Jugendspiels aus ganz, ganz frühen Tagen.
Knapp drei Pfund schwer sind mehrere hundert Lehmkugeln, bunt und zum Teil glasiert. Mit dabei im Holz-Kistlein die zugehörigen eisernen Kugeln, die „Bolzer“ in der Größe von Tischtennis-Bällen.
Das hölzerne Behältnis gilt dabei  als jenes, das  Onkel Fritz (Keller) in jener Zeit handgefertigt habe, die er in russischer Gefangenschaft verbringen musste. Komplett also die Ausstattung fürs „Kigele-Spiel“, das weit oben im Norden als „Murmel-Spiel“ gilt.
Wie aber spielte man mit den formschönen, dunkel-bunten Rundkörpern, die als „Lette-Bolle“, also Lehm-Bollen, spätestens dann ihren zählbaren Wert verloren hatten, als mit dem Wirtschaftswunder diese „Lette-Bolle“ von „Glasern“ abgelöst wurden.
Jene Glaskugeln, die nach 1950 immer häufiger als Zehner-, Zwanzger, Dreißger oder gar als marmorierter 100-er Bollen beim Kigele-Spiel gesetzt wurden.
Man kaufte sie entweder im lokalen Spielwarenhandel, so auch bei Bauer oder Fleig in der Färberstraße, bekam sie zum Geburtstag geschenkt oder von Freunden geliehen, um überhaupt am Spiel teilnehmen zu können.
Wobei das Spiel eigentlich eher das der Buben war.
Nun aber fehlt zum beschriebenen Fund-Fall ja immer noch die Spielregel, die auf jeden Fall aus verstaubter Erinnerung stammt:
* Man spielt auf jeden Fall auf sandbedeckter Spielfläche wie ehemals auf dem Goetheplatz, in den Höfen der Baugenossenschafts-Mietshäuser im Wohngebiet „Westbahnhof“ oder auf Villinger Schulhöfen, auf sandgebundenen Gehwegen, eben auf Flächen ohne Asphalt.
Die Spieler einigten sich auf die Entfernung von einer ersten Wurflinie zum rechteckigen Häuschen, dass in den Sand gekratzt wurde. Dann folgte die Absprache über die Einsatzhöhe an „Kigele“ oder eben später an Glasern.
Wer mit seinem geworfenen Bolzer vom Häuschen der Wurflinie am nächsten kam, durfte in umgekehrte Richtung als Erster seinen Bolzer in Richtung Häuschen werfen, um aus diesem durch Karambolage möglichst viele Glaser zu ergattern. Meist war das direkte „Dipfen“ verboten. Also kein gezielter Wurf mitten rein ins Feld der Glaser.
Ob ein Glaser gewonnen war, entschied auch die Frage, ob das runde Glas nicht doch „hänke“, also auf der Häuschen-Begrenzungslinie lag. So ging es nacheinander reihum, grad wie man sich beim ersten Wurf platziert hatte.
Einzige Gefahr für den Spielverlauf, dass der eigene Bolzer durch einen nachfolgenden Mitspieler „gedipft wurde“, ähnlich wie beim Boulspiel, und man dadurch weiter weg vom Häuschen zu liegen kam. Was ab er dann nichts machte, wenn dies bereits ziemlich leergeräumt war.
„Ein neues Spiel, ein neues Glück!“ – wie es einst über Jahre der Villinger Roland Exner ausrief, der auf Villingens Jahrmärkten mit seinem bebilderten Würfel das Turm-Wurf-Spiel anbot und man des öfters hören konnte:

„Die Jungfrau ist noch frei!“ oder „Die Rose hat‘s gemacht!“

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