Handelsschule 1927: Erste Mädchen bei den  geprüften Kaufleuten

Mädchen sind im Fleiß den Knaben weit überlegen

April 1927 – die jungen Kaufmanngehilfen haben ihre Prüfung an der Handelslehranstalt bestanden! Grund genug für ein Erinnerungsfoto mit Schulleiter Theodor Essig. Eine Zeit, in der man dringend darauf wartete, auch einen Schreibmaschinen-Saal modern auszustatten. Allein, es fehlte an Geld und an Lehrkräften.

 Um auch weiteren Wünschen aus Industrie und Kontoren zu entsprechen, hatte man sich an der Handelsschule schon 1921 entschlossen, Unterricht in englischer Sprache anzubieten; 1926 kam Französisch dazu.

Geprüfte Kaufleute des Schuljahrgangs 1927 beim Erinnerungsfoto mit Schulleiter Theodor Essig.

Und auch um das gesundheitliche Wohl der Schüler und Lehrer hatte man sich wenige Jahre zuvor gesorgt, denn die Folgen des ersten Weltkriegs waren lange zu spüren, wie es im Jahresbericht 1921 heißt:

„Besonders unter den Schülern der dritten Klassen fühlt man den Mangel an väterlicher Erziehung, welche wegen der durch den Krieg bedingten, jahrelangen Abwesenheit der Väter leider all zulange aussetzte.“

Wenige Jahre später galt der Gesundheitszustand von Lehrern und Schülern dann schon als zufriedenstellend:

„Dadurch, dass der Kaufmannslehrling unserer Tage schon eher als eine bezahlte Arbeitskraft betrachtet wird, hat die Schule mehr als früher gegen das Bestreben anzukämpfen, die Lehrlinge vom Unterricht fern zu halten. Wir betrachten es deshalb als unsere Aufgabe, die Interessen der Lehrlinge bezüglich ihrer theoretischen Ausbildung durch strengste Handhabung der Schulordnung zu wahren.“

Auch vom Fleiß der Schüler in den vorangegangenen Jahren berichtet die Schulchronik:

„Sehr zu beklagen ist, dass es ein Teil der Schüler am nötigen Fleiß im Unterricht und bei der Anfertigung der Hausaufgaben fehlen lässt. Der große Nutzen einer guten Schulbildung wird von vielen noch zu wenig erkannt und geschätzt. Eine wachsende Verflachung und Blasiertheit unter der heranwachsenden Jugend muss leider festgestellt werden. Die Mädchen sind im Fleiß und der Aufmerksamkeit den Knaben weit überlegen!“

Um die Lehrlinge abzulenken und sie zu motivieren, heißt es weiter:

„Zur Belebung des Unterrichts dienten Lichtbilder-Vorträge, Betriebsbesichtigungen bei einer Brauerei, bei einer Brennerei, Töpferei, Baumwollweberei, bei den Maggi-Werken, dem Salinenbetrieb, einer Müllerei, einem Getreidelager, einem  Bankbetrieb und der Seidenweberei.“

Obwohl man nun selbstständig war und die Schüler und Lehrlingszahlen ständig zunahmen, blieb der Wunsch nach eigenen Räumen noch über 30 Jahre unerfüllt.

Man war all die Jahre auf die Gastfreundschaft anderer Schulen angewiesen, insbesondere der des Gymnasiums.

Da blieben Probleme nicht aus: denen zu unterschiedlichen Unterrichtszeiten, einem Aufenthaltsraumes für die Auswärtigen oder dem nötigen Platz für ein „Musterkontor“, zu dem es dann aber doch 1924 kam.

Die Schule strebte voran, und so wurde  1924 die „Höhere Handelsschule“ angegliedert: eine zweijährige berufsvorbereitende Vollzeitschule, die zur Mittleren Reife führte. Eine Schulart, die von den Jugendlichen gut angenommen wurde und sich bei der örtlichen Wirtschaft einen guten Ruf erwarb.

Im Jahre 1924 hatte die Schule 248 Schüler, vier Lehrkräfte und einen Referendar.

Schon das Schuljahr 1928/29 brachte weitere Neuerungen: die dritten Klassen der Berufsschule wurden nach Fachklassen für Spedition, Groß-und Kolonial-handel und Kleinhandel eingeteilt, und die „Einjährige Höhere Handelsschule“ wurde für Schüler mit mittlerer Reife eingerichtet.

Kunst im Schulhaus: „Global denken  – lokal handeln“ – eine Gestaltungsidee aus 1960, die sich der frühere Raff-Chef-Dekorateur Fahrbach sen. ausdachte. Er gab vor Jahrzehnten den Einzelhändlern  Dekorations-Unterricht; seine Idee wurde großformatig in einem Mosaik zur Eröffnung des Neubaus der Handelsschule 1961 an der Herdstraße geschaffen.

Damals, als die Schüler noch Schulgeld bezahlten, das von der Stadtkasse in 10 Raten erhoben wurde:

Schüler der Pflichthandelsschule zahlten 4 Mark 50 pro Rate, Schüler der Höheren Handelsschule 12 Mark.

Und so hätte der moderne Buchungssatz bei der Stadtkasse heißen müssen:

„Bank an Erträge aus Berufsbildung“.

Doch damals galt eben nur die klassische Kameralistik mit Einnahmen und Ausgaben.

 

 

 

 

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